Kritiken
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„Auf der Sklavenfarm läuft alles falsch“ - Sabine Rother in der „Aachener Zeitung“ über „Manderlay“
AACHEN. Sie meint es ja so gut! Eine Gefühlslage, die der Protagonistin „Grace“ im Theaterstück „Manderlay“ nach dem gleichnamigen Film des dänischen
Regisseurs und Autors Lars von Trier (Jahrgang 1956) zum Verhängnis wird. Für das Theater Aachen inszenierte Jan Langenheim das Werk.
Er hat gleichfalls die Bühne entworfen, und das macht Sinn, denn wie sich die angedeuteten Szenarien auf der Drehbühne um die eigene Achse drehen, ist auch in der
Geschichte von Anfang an keine glückliche Aussicht auf Lösung – oder Erlösung – zu sehen.
Der Zuschauer ahnt es, Grace, die Hauptfigur, will oder kann es nicht sehen. Das macht sie zur tragisch scheiternden, zugleich imponierenden, oft rührenden Heldin.
„Manderlay“ erschien 2005 in der Fortsetzung von „Dogville“ (2003) zunächst als Kinofilm. Die deutsche Uraufführung des Theaterstücks fand 2008 im Staatsschauspiel
Stuttgart unter der Regie von Volker Lösch statt.
Lars von Trier ist ein umstrittener Meister der Provokation. Die Geschichte ist rasch erzählt: Im Vorgänger-Film/-Stück „Dogville“ erlebte Grace auf der Flucht vor ihrem
Gangsterboss-Vater eine Gemeinschaft, bei der sie Unterschlupf suchte, sich anpasste und dabei zunehmend ausgenutzt und erniedrigt wurde. In der Fortführung „Manderlay“
entdeckt sie gemeinsam mit dem Vater besagte Sklavenplantage, auf der die Zeit stillzustehen scheint. Wir sind im Amerika des Jahres 1933. Sklaverei? Grace ist entsetzt. Es
packt sie der Drang, Gutes zu tun, zu helfen, zu retten, aufzuklären. Doch als die alte Gutsherrin „Mam“ stirbt und Grace nicht ganz freiwillig Macht und Verantwortung
übernimmt, läuft alles, was sie sich so schön als Demokratisierungsprozess vorgestellt hat, aus dem Ruder.
Jan Langenheim gelingt es, im fast dreistündigen Werk den Spannungsbogen von Anfang an straff zu spannen und eine subtile, beunruhigende Dramatik zu schaffen, die
selbst dann in der Luft liegt, wenn sich die Manderlay-Leute nur stumm auf ihren blauen Plastikstühlen um den Tisch versammeln. Musik (Malcolm Kemp/Jan Langenheim)
und eindrucksstarke Videosequenzen (Kolja Malik) vertiefen Einsicht und Filmgefühl.
Die Akteure treten zu Anfang in Abendkleidung auf – die spiegelnden Stufen der Bühne, klar, Filmpremiere. Plötzlich wendet sich das Ganze, die Bühnenhandlung setzt
unvermittelt ein, der bedrohliche Metallzaun mit dem Schriftzug „Manderlay“ schwingt ins Bild, die Figuren schlüpfen in ihre Rollen, behalten aber ihre Glitzerkleider an
(Kostümgestaltung: Nina Kroschinske), Brechungen im Stile eines Bert Brecht.
Lars von Trier gibt unbehaglichen Gedanken Gestalt. Demokratie? Wollen die Sklaven das? Können die das? Ist es nicht bequemer, in den alten Unterwerfungsmustern zu
bleiben? Man wird zwar gequält, aber auch gefüttert.
Energisch und zerbrechlich
Lara Beckmann ist als Grace eine Darstellerin mit großer Energie und zugleich Zerbrechlichkeit, Präsenz und überzeugendem Missionsbewusstsein. Wie euphorisch sie sein
kann, wie glücklich, wenn sie glaubt, dass alles auf dem guten Weg ist, wie tief verletzt sie sich schließlich dem Sog der Gewalt nicht mehr entziehen kann. Eine große
Leistung und eine facettenreiche Persönlichkeit. An ihrer Seite agiert ein eng miteinander verbundenes Ensemble. Ein erfahrener Schauspieler wie Rainer Krause gibt dem
üblen Charakter des geheimen Vertrauten der einstigen Herrin in seiner „Sanftheit“ hintergründige Brutalität, die Grace zu spät erkennt. Benedikt Voellmy bewegt sich als
süffisant lächelnder Erzähler „Lars von Trier“ durch die Szenen, wobei er immer wieder den Eindruck vom Seelenzustand der Heldin vertieft, ein geschickter Kunstgriff.
Eindringlich Elisabeth Ebeling zunächst als steinharte „Mam“, dann als unglückliche „Wilma“, die der Verführung unterliegt und nach dem Essen für das kranke Kind greift.
Neid, Missgunst, Verrat, Mordlust, selbst Faulheit und Mü.iggang – Lars von Trier lässt nichts aus. Langenheim arbeitet sorgfältig und klar jedes böse Detail heraus. Als
Grace begreifen muss, dass dieses vorgefundene Sklavenleben ein ausgetüfteltes Lebensprinzip war und ist, dem sich alle unterworfen haben, ist ihr Entsetzen über die
perfide Kraft einer unverbesserlichen, durch und durch maroden Gesellschaft grenzenlos. Lara Beckmann löst in ihrer Verkörperung der Rolle Herzklopfen aus. Zum Schluss
nehmen wieder alle ihre Plätze auf der Spiegelbühne ein, als wäre nichts geschehen. Das „Spiel“ geht weiter. Die Aachener Inszenierung ist spannend und wirft unbequeme
Fragen auf.
Viel Applaus, verdiente Bravos, ob nun von Zuschauern oder Kollegen. In weiteren Rollen: Markus Weikert, Torsten Borm, Elke Borkenstein, Thomas Hamm, Björn
Jacobsen, Bettina Scheuritzel, Felix Strüven, Nele Swanton, Katja Zinsmeister und Statisterie des Theaters.
01.03.2015