Kritiken
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„Schnappschuss in den Abgrund“ - Stefanie Grießbach in der OTZ über „Detroit“ am Theaterhaus Jena
Die kurzweilige Premiere von „Detroit“ im Theaterhaus Jena überzeugt durch komisches Talent, Schauspieler in Hochform, mitreißende Dynamik und eine spannende Inszenierung von Jan Langenheim
Jena. Kaviar aus Norwegen und rosa Himalaya-Salz reichen Mary und Ben zum Barbecue mit ihren Nachbarn. Man ist ja nicht irgendwer, sondern Gourmet. Getrunken wird noch Eistee. Sharon und Kenny revanchieren sich. Bei ihnen gibt es Käsebällchen und Erdnüsse und viel Salz, echt Prolo. Da ist man dann schon beim Whisky.
Es ist wie ein Blick durch Fenster in ein beleuchtetes Wohnzimmer, Momentaufnahmen, die ein Bild ergeben. Regisseur Jan Langenheim gewährt in "Detroit" einen provokativen Schnappschuss, der die bedrohliche Situation der amerikanischen Vorstadtbewohner kurz vor dem tiefen Fall oder kurz nach dem Absturz festhält, auch dank des gelungenen, sich fix drehenden Wohnwürfels (Bühne und Kostüme: Benjamin Schönecker, Veronika Bleffert). Da sind Ben (Matthias Zera) und Mary (Sophie Hutter), er der Banker, der angeblich an einer neuen Existenz bastelt, aber eigentlich ein ganz anderer sein will. Und sie, die Verklemmte, die von der Natur träumt, alles perfekt haben will und heimlich säuft. Kenny (Benjamin Mährlein) und Sharon (Anne Greta Weber), die gerade einen Drogenentzug hinter sich haben, aber so beneidenswert offen sind. Die ihre Nachbarn kopieren und ironisieren, die nicht mehr unterscheiden können zwischen Realität und Traum.
Es ist Mary, die sich verrenkt, die hinkt, bevor Kenny blutet und Ben humpelt, bei der die ersten Risse in der Fassade zu spüren sind, bei der die Angst vor dem finanziellen und gesell-schaftlichen Niedergang ständig mitschwingt. Wie in Detroit, Pleitestadt, Geisterstadt, verlassen, aufgegeben. Detroit als amerikanisches Phänomen, das längst inDeutschland angekommen ist. Der Traum vom Glück, vom freundschaftlichen Umgang mit den Nachbarn, von gemeinsam spielenden Kindern, ist am Ende.
Es wird viel gegessen, eigentlich pausenlos, perfekte Steaks in Echtzeit vom coolen High-Tech-Grill, verkohlte Burger mit Käsekugel aus der Supermarkt-Grill-Version, Appetizer. Im schnieken Haus von Mary und Ben, im engen Rock und feinen Zwirn, in der heruntergekommenen Kopie nebenan von Sharon und Kenny im knappen Kleidchen und versifften Shirt. Viel mehr passiert nicht. Weil das Leben in der Vorstadt auch nicht viel mehr ist als ein Balanceakt zwischen Langeweile und Hoffnungslosigkeit. Aber die Ruhe täuscht, es brodelt unter dem Deckel und die Dynamik des Stücks greift gnadenlos an. Autorin Lisa D Amour hat ihr Stück als Tragikomödie angelegt, mit haarscharfen Dialogen, aus denen die verschleierte Verzweiflung sickert, mit einer sich fulminant steigernden, zerrenden Spannung bis hin zur ausartenden, entblößenden Party im Alkohol- und Tanzrausch, wo sich die Mittelschicht-Existenz im vielsagenden Schlussbild in Rauch und Asche aufgelöst hat, ein qualmendes Desaster, das Ben, der künftig Ian sein wird, und Mary nicht ohne Hoffnung entlässt. Für die mitreißende Komik und den kurzweiligen Spaß im Jenaer Theaterhaus, den das Publikum am Donnerstag bei der viel beklatschten Premiere offensichtlich hatte, ist Regisseur Langenheim zu danken, der seine Schauspieler zu Höchstleistung antreibt. Der komödiantisch hoch talentierte Matthias Zera als pedantischer Grillfetischist mit Profigürtel um die Hüfte. Dessen Gesicht leuchtet, als Kenny von Sharons Knackarsch erzählt, und dem dieses Leuchten schockartig gefriert, als sein Blick seine Ehefrau streift. Ein Quartett, das auf einem hohen Niveau ausgewogen zwischen Tragik und Humor operieren kann.
06.12.2014