Kritiken
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„Nur einer wollte weg“ - Sigmund Kopitzki im Südkurier über „Der Geruch vom Bodensee“
Das Stadttheater Konstanz geht in einer überaus launigen Revue dem „Geruch vom Bodensee" nach.
Immer der Nase entlang... Aber nein, am Anfang der „phydläsophischen und paraethnologischen Expedition zur Erforschung von Lebensraum, Alltag, Sitten und Gebräuche der Eingeborenen vom westlichen Bodensee" (Programmheft) stand eine Umfrage. Mehr als 250 Einheimische, Wahlbeheimatete und Fremde diesseits und jenseits der Grenze (inklusive der helvetierenden Autofahrer mit grünen Ausfuhrzettel) wurden auf offener Straße, am Hafen oder - immer ergiebig - auf dem Wochenmarkt nach ihrer Befindlichkeit in der „Stadt zum See" befragt. Die Mehrheit der Befragten waren Senioren (57 Prozent). Die Mehrheit unter ihnen fand die „Landschaft schön", das Leben hier „wie im Urlaub". Nur einer wollte weg...
Nein, das Theater Konstanz ist nicht zur Nebenstelle der Allensbacher Demoskopen mutiert. Auch beansprucht die Umfrage, die Regisseur Jan Langeheim mit einem studentischen Team unternahm, keinen Anspruch auf Repräsentativität. Auch nicht auf Ernsthaftigkeit. Eine witzige Versuchsanordnung sollte daraus werden, die - unter dem Überthema „Borderline" - im weiteren Sinne etwas mit Heimat, Konstanz und (eben) dem so verbindenden wie trennenden Wasser zu tun hat: „Wie riecht der Bodensee" lautet das Ergebnis, das jetzt in der Form einer ultraleichten Revue in der Spiegelhalle uraufgeführt wurde.
Wie er riecht, der See? Immer anders. „To me, the lake smells like peppermint", meinte eine Studentin aus - Shanghai. „N'bisschen nach Fisch, n'bisschen nach Weite, n'bisschen nach Freiheit", ließ ein Schweizer verlauten... Noch (viel) mehr Stimmen, ja ganze Lebensläufe, spannende, traurige und lustige, fanden auf diesem Weg auf die Bühne.
So auch die Geschichte des in den Nachkriegsjahren aus dem Polnischen zugereisten Bäckermeisters Richard Gandor - der am Premierenabend in der ersten Reihe saß. Gandor wurde über die Grenzen der Niederburg, seinem Lebensmittelpunkt in der Konstanzer Altstadt, als Hauptdarsteller in Douglas Wolfspergers boshaftem Film „Liebe kreuz und sterbe quer" (1985) berühmt. Das nett sächselnde Zwillingspaar Elisabeth und Olga Doering, das schon einige Jahrzehnte (glücklich) in Konstanz lebt und von allerlei Schicksalsschlägen gebeutelt wurde, durfte sogar auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Langjährige Theaterbesucher werden sich an die Schwestern erinnern, sie hatten dereinst einen Auftritt in Ödön von Horvaths Volksstück „Kasimir und Karoline" im Spiegelzelt. Das war noch zu Zeiten der Ära Ulrich Khuon.
In einem eingespielten Video durfte der Reichenauer Küchenchef Paul Leissner der Schauspielerin und Paraethnologin (was soviel heißt wie Neben-Völkerkundlerin) Katrin Huke erklären, wie Forelle Müllerinart gelingt („Ein Fisch muss schwimmen"). Am Ende durften die Zwillinge den gebratenen Fisch verzehren, den Huke während des Abends liebevoll zubereitet hatte... Neben der lustigen Köchin waren noch zwei weitere Paraethnologen und Schauspieler erzählerisch und schwelgerisch unterwegs - Max Hemmersdorfer, der nach knapp zwei Jahren dem bisweilen miefigen See den Rücken kehrt, und Michael Müller, derzeit Student an der Zeppelin-University in Friedrichshafen, ein Zugezogener, der hier seit (immerhin) 5,5 Jahren lebt...
Und natürlich gab es zwischen historischen Reminiszenzen an das promiskuitäre Konzil oder an die etwas unschöne Wendelgard, zum Viertele Musik von Viertele Notty's Jug Serenaders - auch so eine bekennende Heimathausnummer -, und phydläsophischen Gesang (mit Phydlä ist der Hintern gemeint), den der aus der fünften Jahreszeit vertraute Norbert Heizmann, ein Urkonschtanzer aus Möhringen, zum Allerbesten gab. „Konstanz wär so schön und nett", heißt es da einmal, ein erstes Fazit, „wenn's keine Konstanzer hätt, dam, da, dada, da, da...". So ist es. Langer Beifall ohne Betroffenheitsbekundung. Woran das wohl gelegen haben mag? Zwischendurch wurden Obstler serviert...
09.04.2013