Kritiken
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Der Tartuffe - „Familienzersetzung im Schatten der Scheinheiligkeit“ - Niko Wasmund in der SHZ
Jean Baptiste Molière - man kann ihn getrost als den Christoph Schlingensief des Barock bezeichnen. Nichts als Ärger hatte der Pariser Theater-Provokateur denn auch 1664 mit seiner neuesten Bühnen-Frechheit "Tartuffe". Kein Wunder, ging es darin doch um eine weit verbreitete menschliche Untugend namens Heuchelei - und dann gleich noch im Verbund mit
vorgeblicher Frömmigkeit. Die Kirchenobersten schrien empört auf.
Gastregisseur Jan Langenheim versucht bald 350 Jahre später gar nicht erst, dieser in knackigen Versen gesprochenen Komödie, die jetzt ihre Premiere am Kieler Theater feierte,
einen ernsthafteren Rahmen zu geben. Überkandidelt bis lächerlich wirken die Perücken und Barockgewänder, in denen die Handelnden sich vor, unter und auf einem halbrunden
Prunkbalkon bewegen, der die Bühne nach hinten begrenzt. Die Schminke klebt gleich bröckelnden Mörtelschichten vieldeutig auf den Gesichtern. Große Aufregung herrscht im
Hause der Familie Orgons, der seit einiger Zeit den auf der Straße aufgelesenen Betrüger Tartuffe bei sich beherbergt. Er verehrt diesen allerdings in hartnäckiger Verblendetheit als ebenso frommen wie weisen Mann.
Begeisterter Applaus und "Bravo"-Rufe
Einzig seine Mutter Pernelle teilt diese seltsame Zuneigung, während der Rest der Familie schnell den sehr eigennützigen Hintergrund von Tartuffes Anwesenheit erkennt. Als Orgon jenem nicht nur seine eigentlich bereits versprochene Tochter zur Frau geben will, sondern auch seinen Sohn zugunsten Tartuffes verstößt, kommt es zu weit reichenden Verwerfungen innerhalb der Familie. Marko Gebbert - der den Barockstil in schwarzem Hemd und Hose sowie mit Freizeitschuhen und modischem Kreuzkettchen gänzlich durchbricht - besticht in seinem schleimig-devoten Dasein als scheinheiliger Tartuffe, lässt in wenigen Augenblicken das wahre Gesicht
dieses Heuchlers beängstigend realistisch aufblitzen.
Brillant agiert der quirlige Zacharias Preen als sturköpfiger Orgon, der seine schüchterne Tochter Mariane (anrührend als einfältiges Häschen: Janna Wagenbach) gegen ihren Willen mit Tartuffe vermählen will. Doch da ist nicht nur die clevere Zofe Dorine (erfrischend frech: Agnes Richter) vor. Orgons Frau Elmire, als bodenständige Gattin mit Pfiff gespielt von Ellen Dorn, enttarnt mit einer Falle den Betrüger. Doch da ist eigentlich alles schon zu spät. Eine dankbare Vorlage ist Molières "Tartuffe" mit seinen geschliffenen, witzigen
Dialogen allemal. Langenheim gelingt eine temporeiche Inszenierung des Stoffes, in der auch an den Nebenrollen sorgfältig gefeilt wurde. Wie etwa an Mutter Pernelle, die von Almuth Schmidt als starrsinnige, vergrätzte Seniorin gegeben wird, oder ein bestens aufgelegter Felix Zimmer, der Orgons Sohn als aufbrausenden Hasenfuß spielt. So kommt trotz zweieinhalb Stunden Länge niemals Langeweile auf. Der (hoffentlich) ungeheuchelt begeisterte Applaus und Bravo-Rufe beweisen es.
02.06.2009