Kritiken
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Körperzeit - „Stretchübungen gegen den Tod“ - Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung
Roland Schimmelpfennig hat Don DeLillos Roman "Körperzeit" kongenial für die Bühne bearbeitet – eine Uraufführung am Züricher Theater am Neumarkt
Eine Bühnenbearbeitung seines 2001 unter dem Titel "The Body Artist" erschienenen Romans hatte er eigentlich untersagt. Die Filmrechte sind bereits verkauft, und dann ist das mit Roman-Adaptionen ja auch so eine Sache. Dass man am Züricher Neumarkt-Theater nun trotzdem die Geschichte der Lauren Hartke erleben kann, hat mit Roland Schimmelpfennig zu tun. Dessen Theaterstück "Die arabische Nacht" hatte Don DeLillo in einer New Yorker Inszenierung gesehen. Weil ihm das Stück gut gefiel, hatte er nichts mehr dagegen, dass der deutsche Kollege sich seiner "Körperzeit" annimmt. Was folgte, war die Auseinandersetzung mit einer Geschichte, die Schimmelpfennig in enger Absprache mit dern Autor für die Bühne einrichtete. Der Kollege aus New York habe die Bearbeitung sehr genau und auf Deutsch gelesen, erzählt Schimmelpfennig.
Dass sich da irgendwo Probleme hätten einstellen können, ist auch schwer vorstellbar. Dazu ist "Körperzeit" zu genau komponiert, sind die einzelnen Kapitel zu eng gefügt. Nähme man größere Veränderungen vor, würde der Text nicht mehr funktionieren. Da ist die Performancekünstlerin Lauren, die nach einer kurzen Ehe mit dem Filmregisseur Rey plötzlich wieder allein im Haus an der Ostküste nahe New York lebt und die Spuren der kurzen Zeit aus dem Körper zu tilgen sucht. Einfach ist das nicht, da Gänge, Gesten und Gerüche sich im Nervengewebe eingenistet haben wie ein Schwarm aufdringlicher Vögel. Laurens Zeit mit Rey war kurz, aber prägend. Die beiden befanden sich noch im Stadium einer nicht geübten Zweisamkeit, was DeLillo mit einem langen Frühstück und einem gnadenlosen Close-up in Szene setzt. Man ist den beiden sehr nahe, wenn Lauren und Rey den Duft des anderen genießen, sich im Weg stehen, Aversionen und Vorlieben andeuten. Ob sie Saft wolle, fragt er. Ob er immer noch nicht bemerkt habe, dass sie auf keinen Fall Saft trinke, sagt sie.
Das erste Kapitel ist schon im Roman ein mit Regieanweisungen versehener Theaterdialog. Schimmelpfennig übernimmt das fast ungekürzt und greift erst ein, sobald Rey aus heiterem Himmel das Haus verlässt, zu seiner ersten Frau nach New York fährt, sich dort im Sessel niederlässt und erschießt. Den abrupten Abschied verarbeitet DeLillo als Nachruf. Schimmelpfennig legt den Text Mariella Chapman in den Mund, einer New Yorker Autorin und dem einzigen Kontakt Laurens, die sich im Haus vergräbt und die traumatische Erfahrung in ausgiebiger Körperarbeit aus dem Gewebe stretcht. Dass sie schon da parallel an einer Performance arbeitet, mit der sie das Trauma in Kunst verwandelt, ahnt man. Zuerst allerdings erlaubt Schimmelpfennig sich den Kunstgriff, die Textpassagen, in denen DeLillo die feinfühligen Reaktionen seiner Protagonistin auf Natur und Haus schildert, einer alten Japanerin zuzuschreiben, die im Roman wie eine Chimäre auftaucht.
Aus ihr wird eine Seelenverwandte, die Laurens seismische Oberfläche in eine lyrische Flüsterstimme verwandelt. Spätestens da versteht man, dass Schimmelpfennig sich in "Körperzeit" stürzte, um bei seinem ureigenen Thema paralleler Welten und schleichender Metamorphosen zu landen. Ist nicht alles Anverwandlung, lautet die Frage, sobald Lauren und die Japanerin zu einem Doppelwesen werden und Schimmelpfennig im Zentrum von "Körperzeit" ankommt.
Auch dort geht es um Parallelwelten in der Kunst und die Verwandlung des Rey in den seltsamen Mister Tuttle, DeLillos sanftes Rumpelstilzchen. Der kleine Mann mit dem Kindergesicht und den uralten Augen sitzt plötzlich in Laurens Haus und spricht wie ein Kassettenrekorder, in den ein Band mit bereits gelöschten Satzteilen eingelegt wurde. Dann allerdings gibt er doch ganze Passagen der Gespräche zum Besten, die Lauren mit Rey führte, und es ist Unübersehbar, dass die Frau das Kindwesen adoptiert und ihm erlaubt, Reys Platz einzunehmen. Tuttle tut nicht nur Lauren gut, sondern auch der Züricher Urauffuhrung, in der Regisseur Jan Langenheim sich so eng an Schimmelpfennigs Adaption schmiegt wie Schimmelpfennig an den Roman. Das erste Kapitel entwickeln Katharina Hofmann und Adrian Furrer ganz pur und als Choreographie einer Lauren-Rey-Seismologie. Hofmann ist in ihrem Element und zeigt die körperliche Selbstgewissheit einer Frau, die sich geliebt weiß, während Furrer durch Absencen andeutet, dass jenseits der selbstvergessenen Zweisamkeit die Dunkelheit lauert. Nach zwanzig Minuten geht Furrer ab und die Zuschauer konsequenterweise in die durch Reys Tod gesetzte Pause. Eine zweite wird er nicht mehr geben, da Langenheim die restlichen mehr als zwei Stunden als ununterbrochenen Fluss im quer gelegten Neumarkt-Spielraum mit den hufeisenförmigen Sitzreihen und der zentralen Spielplattform inszeniert.
Schauspielerisch so sicher wie beim gemeinsamen Frühstück ist Lauren danach zuerst allerdings nicht mehr. Die Verwandlungsszenen mit der Japanerin und Unsicherheiten der einsamen Frau beim Auftauchen Tuttles spielt Katharina Hofmann aufgesetzt eckig und nicht mehr so souverän. Erst wenn sich mit Tuttle jene körperliche Taktung einstellt, die Lauren auch mit Rey pflegte, läuft Katharina Hofmann wieder zur alten Form auf und hat in Christoph Rath einen gleichwertigen Gegenpart. Rath spielt den Tuttle komisch-melancholisch und hätte, so wie hier ein körpersprachliches Gesamtkunstwerk aus der Figur wird, gut in die Performance gepasst, die am Ende des Romans als Bericht von Laurens Freundin Mariella auftaucht.
Auch auf der Bühne bildet die Beschreibung einer aus dem Leben destillierten Performance den vorläufigen Schlusspunkt – bevor Katharina Hofmann sich noch einmal als Zwitterwesen mit umgeschnalltem Penis zeigt und wie eine engelsgleiche Verschmelzung von Rey und Lauren eine Inszenierung abrundet, die sich wohltuend mehr Zeit für die Umsetzung eines Romans ließ, als das zumeist der Fall ist. JÜRGEN BERGER
13.04.2007