Kritiken
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Angebot und Nachfrage - „Galoppierender Zerfall“ - Ulrich Fischer im Rheinischen Merkur
Mit einhelligem Beifall hat das Publikum am Freitagabend die Uraufführung des Zweipersonenstückes „Angebot und Nachfrage“ auf der Studiobühne des Bochumer Schauspielhauses aufgenommen.
(...) Thema ist der galoppierende Zerfall aller Bindungen und Zusammenhänge. Die beiden Figuren, Ruby, „Mitte Dreißig“, und Joseph, „Sechzig oder älter“, sind offenbar kein Paar. Mehr lässt sich kaum sagen: Sind sie befrreundet? Onkel und Nichte? Schimmelpfennig lässt das offen. In der Schwebe bleiben auch die Zusammenhänge der ersten drei Szenen: 1. Ruby tritt auf und zerdeppert in einem Wutanfall Geschirr. 2. Joseph richtet Fragen an Rudy, sie legen nahe, dass sie sich beworben hat - wohl vergeblich. 3. Ruby erinnert in einer Wortkaskade an Filmsequenzen mit brutaler Gewalt.
Will Schimmelpfennig sagen, dass gewaltverliebte Filme eine Antwort auf die Aggressionen der Ohnmächtigen sind, die - wie Ruby - existentiellen Entscheidungen der Mächtigen ausgesetzt sind? Wer will, kann diesen Zusammenhang konstruieren, wer nicht, kann es auch lassen. Der Autor bietet Material an, der Kunde/Zuschauer kann wählen: „Angebot und Nachfrage“, der zentrale Mechanismus des Marktes, der dem Stück den Titel gibt, gilt auch hier. Höchst spielerich, ironisch...
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Manfred Böll (...) genießt geradezu die langen Ergüsse und arbeitet die musikalische Qualität einezelner Ausdrücke schmeckerisch heraus. Dadurch trennt er Signifikat und Signifikant, Wort und Bedeutung, und unterstreicht so den Zerfallsprozess mittels mimischer Aktion - es ist ein Spaß, ihm zuzusehen, zuzuhören: meisterhaft!
Jan Langenheim hat die 26 Szenen analytisch klug durchdrungen und zeigt, dass unter der Oberfläche keine Tiefe ist, hinter dem Vorhang das Nichts gelangweilt gähnt und Versatzstücke des Bühnenbildes keine Bedeutung haben können - eine geglückte Uraufführung, die Schimmelpfennigs geistreiches Spiel, das auch die innneren Widersprüche der Theorie der Theorielosigkeit aufgreift, umfasst und zur Anschauung bringt.
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Prächtig: Ein Nachtstück für Fortgeschrittene.
08.11.2005