Kritiken
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„Rauchende Colts, bizarre Bilder“ - Eva - Maria Magel in der FAZ über „The Collected Works of Billy the Kid“
Die Zeit ist reif für das Western - Revival. Madonna trägt den Cowboyhut, Wolfgang Joop verkauft wieder ausgefranste Jeans, und im Staatstheater Darmstadt setzt Jan Langenheim Billy the Kid als Gesamtkunstwerk in Szene. „BTK“ prangt als Logo wie ein Brandzeichen auf dem Programm, eine Bourbon - Marke unterstützt die Inszenierung und wird deshalb gleich mitinszeniert, die Western - Musik von Dani Majer und Pitt Schulz kann man auf CD mit nach Hause nehmen, und auf der gesamten Fläche der Werkstattbühne Darmstadt tobt deer Kampf Mann gegen Mann. William Bonney, genannt Billy the Kid, den Pat Garrett erschoss - ein Mythos in der Geschichte des Wilden Westens. Billy the Kid hat die Attribute des Popstars: rätselhaft, blutjung, zwischen Poesie und Gewalttätigkeit immer auf der Suche nach dem eigenen Weg. Die Waffe in der Linken, schießt er ihn sich frei, bis er in die Falle des Sheriffs gerät - ein banaler Tod auf dem Weg zum Kühlhaus, „um ein Stück Fleisch abzuschneiden“. Wer ist Billy the Kid?
Michael Ondaatje, der literarische Spurensucher, hat 1970 seine Reihe von kreisenden Annäherung an historische Gestalten mit „The Collected Works of Billy the Kid“ begründet. Eine vielstimmige, zwischen Lyrik, Kurzprosa und Drama oszillierende Geschichte des Helden, der die Wildwest-Phantasien besetzt wie kaum ein anderer. Das daraus entstandene Theaterstück, seit 30 Jahren viel gespielt in der englischsprachigen Welt, wurde hierzulande erstmals 1994 in Dortmund aufgeführt. Die Darmstädter Inszenierung des jungen Regisseurs Jan Langenheim, der mit seiner ersten Regiearbeit „M.E.Z.“, gespielt von Katharina Hofmann, im vergangenen Jahr Erwartungen weckte, findet einprägsame, poetische und groteske Bilder zu den expressiven Prosagedichten Billys, der lärmenden Männersprache harter Kerle, den zarten Beobachtungen von Billys Geliebten. Die Fragmentierte Annäherung seiner Freunde und Feinde an die letzten Lebensmonate des „Kid“ spielt mit dem herkömmlichen Bild des jugendlichen Draufgängers, der grinsend und grausam den wilden Westen noch ein bißchen wilder macht. Ondaatjes wie Langenheims Billy ist ein Dichter seiner selbst, der in der Grausamkeit der Morde berauschende Bilder findet. Das Grinsen besorgen meist die anderen. Katharina Hofmann spielt die letzte Geliebte von Billy the Kid, Celsa Guitierrez. Sie bleibt zurück, nach dem tödlichen Schluss, und schlüpft mit Billys Kleidern in seine Rolle. Spielt mit dem Colt und betritt die Szenen, die aus den Erinnerungen ein Bild seines Lebens zusammenfügen - lyrisch, kopflastig und doch die Wärme nackter Haut und offener Schußwunden atmend. Hofmann spricht von Mord und Liebe träumerisch und klar; ihr weiblicher Billy unterstreicht die spielerische Konstruktion einer Geschichte, die gleichzeitig die Mittel des Theaters und des Textes reflektiert.
Die Inszenierung spielt mit hohem Einsatz und vielen Anführungszeichen, manchmal bis an die Schmerzgrenze: Da holt einer eine Eistüte aus der Trockeneismaschine, die Billys Monolog pathetische Schwere verleihen soll; da wird kindsköpfig mit Kugeln auf Hüte geworfen, da taumelt ein tolpatschiger Soldat über die Szene. Die Pferde sind die Transportwagen der Bühnenarbeiter, der Wüstensturm ein Ventilatior, und auch die Wildwestkulisse wird als solche geoutet (Bühne und Kostüme: Anja Jungheinrich). Dazwischen tritt ein Sänger (Dani Majer) auf, der rockig-poppig-techno Billy, Angela D. und Western an sich besingt. Die Musik im Stück treibt das Klischee weiter mit Country - Songs aus den Western der Kindheit. Es gelingt, den Zuschauer in den Bann der Geschichte zu ziehen, nicht nur durch reichlichen Pistolenknall. Bilder des Wilden Westens im Kopf nähern Gestalten wie Charlie Bowdre (Olaf Weissenberg) und Tom O‘Folliard (Peter Knieser), die den „rauchenden Colts“ entlaufen zu sein scheinen und bizarre Tragikomik in die Szenen streuen. Dazu kommen: Eine faszinierende Prärieblume namens Sally Chisum (Gabi Drechsel), die weltfern im rosa Kleid ihren Neigungen nachgeht und ihr Herz für das Gute im Schlechten in malerischen Posen und Worten ausdrückt. Angela D., laszive Saloonlöwin und Mädchen für alle (Susanne Burkhard), die in den drei Stunden zur Hochform aufläuft. John Chisum (Jo Kärn), ein Diktator, der harmlos wirkt in seiner alzheimerverdächtigen polternden Schauspieler - Rede. Doch er gibt Billys Mörder die Lizenz zum Töten: Pat Garrett (Gerhard Hermann), als Bösewicht natürlich in Schwarz gekleidet. Der schält eine Orange so fein säuberlich, als handele es sich um die Leichen seiner Feinde, aber sonst zeigt er Verwundbarkeit, auch wenn er nicht ganz der beeindruckende Charakter ist, den man sich als Gegenüber gewünscht hätte in einem Ensemble, das mit Lust am Pathos und an den Gags ausholt, Billy ein Denkmal im Kopf zu setzen.
20.03.2001