Kritiken
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Keine Zeit für Engel - „Wahre Wunder der Verwandlung“ Markus Küper in der Münsterschen Zeitung
„Es ist Herbst im Himmel. Die Engel sind überreif und fallen herab“, scherzt Pelayo, als plötzlich der sehr alte Mann mit den riesengroßen Flügeln vor ihm sitzt. Schließlich sind er und seine Frau Elisenda himmlischen Segen gewohnt. Seit Tagen regnet es in ihre marode Sperrholz - Bude wie durch ein Sieb. Da bleibt für gestrandete Himmelsboten und ihre Wunder keine Zeit. Der Darmstädter Regisseur Jan Langenheim jedoch nahm sie sich und setzte im Borchert - Theater Gabriel Garcia Marquez Erzählung „Ein sehr alter Herr mit riesengroßen Flügeln unter dem Titel „Keine Zeit für Engel“ in ebenso poetische wie amüsante Bilder um. Mit Engels - Geduld. Und dem ganz und gar irdischen Instinkt, die ebenso magische wie fantastische Parabel über unentdeckte Wunder, Fremdheit und Einsamkeit zu „beflügeln“. Dazu bedarf es nicht einmal vieler Worte.
Trist und stressig zugleich ist es in Elisendas (Anja Bilabel) und Pelayos (Philipp Sebastian) armseligem Alltag. Durch die Decke tropft der Regen, der Abfluss ist verstopft, das Radio führt ein Eigenleben und das Baby plärrt. Eine irdische Hölle, ein Un- Ort, den Bühnenbildnerin Anja Jungheinrich da entwarf. Wirklich und unwirklich zugleich. So befremdlich wie die schwarze Engelsgestalt, die nach einem weiteren Stromausfall plötzlich stumm auf der Feldbettkante sitzt: Ein ikarusartig gescheiterter Himmelsbote, dem der rumänische Schauspieler Dinu Ianculescu mit sparsamen, aber „sprechenden“ Mienenspiel eher mysteriöses als mystisches Wesen verleiht. Ein Engel der traurigen Gestalt, ertragen wie der Regen, als Fremdkörper nur aus Apathie geduldet, der nicht viel mehr zu tun hat, als einfach nur da zu sein. Wie die Putte an der Wand. Aber das ist nicht wenig. Muss sich der arme Mann doch gefallen lassen, als Kirmesattraktion in den Kleiderschrank gesperrt zu werden. Vorher noch Versteck, verwandelt sich der mobile Schrein rasch in einen Kitsch - Altar, der dem Pärchen enormen Wohlstand bringt. Ein Wunder, das aber teilnahmslos hingenommen wird. Nur das Publikum staunt, wenn sich die hölzernen Drehtüren plötzlich in blühende Landschaften verwandeln, die leckende Nasszelle zum Blumenparadies mit Zimmerspringbrunnen wird und der kleine Schreihals zum naschsüchtigen Öko - Schnösel (Konrad Haller) herangewachsen ist.
Wahre Wunder der Verwandlung hält die Inszenierung bereit. Für die Familie mit dem himmlischen Anhang bleibt aber auch die neue Edel - Enklave nur eine Oase der Langeweile. Das verwöhnte „Engelchen“ mästet sich mit Teegebäck, Mama führt ihre Kleider vor und auch Daddys Tanz auf dem Mosaikboden kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier alles stagniert. Bis zum ausgelassenen Ende. Und der Engel? Der entfleucht der ausgelassenen Tristesse auf dem Matratzen - Floß. So lautlos, wie er gekommen ist.
06.11.2001