Kritiken
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M.E.Z. - „Über den Dächern das Meer“ - Johannes Breckner im Darmstädter Echo
(...)Katharina Hofmann, der Regisseur Jan Langenheim und die Ausstatterin Anja Jungheinrich nehmen die Zuschauer mit ins Innere des Theaters. Zwei Damen vom Abendpersonal empfangen die Zuschauer im Foyer des Kleinen Hauses und führen sie in den Rang zu einer kleinen Tür, die man bisher nicht wahrgenommen hatte. Dahinter wartet, auf der obersten Stufe einer schmalen Treppe und im gleichen blauen Kostüm, wie es die Damen tragen. Katharina Hofmann. Sie packt für die Expedition drei Wasserflaschen in einen Koffer, zwei kleine Signalflaggen und eine CD der irischen Popsängerin Sinead O‘Connor. Dann balanciert sie am Fenster; es muss sich wohl um jene Szene handeln, die während der Proben besorgte Anlieger zum Anruf bei der Polizei bewegten. Auch jetzt fahren zwei Löschzüge der Feuerwehr vorbei. Aber sie retten Katharina Hofmann nicht. Darum kann der Theaterabend weitergehen.
An vier Stationen trägt Katharina Hofmann Schimmelpfennigs Monolog vor: Im Treppenhaus, auf dem Dach vor den Zimmern von Kapellmeister und Studienleitern, von denen aus das Publikum nach draußen schaut, im Dachgarten, den der Architekt Rolf Prange als Ruhezone für die Theaterleute geplant hat, schließlich auf dem Dach selbst. Zwischen den Bühnentürmen der beiden Häuser führt ein Holzsteg zu einem Plateau aus Latten, das mit seiner Glühbirnenbeleuchtung einen irgendwie maritimen Eindruck macht. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass Katharina Hofmann zur Begrüßung Charles Trenets Chanson „La Mer“ pfeift.
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Schimmelpfennig hat seinen Text komponiert als Fuge wiederkehrender Erinnerungsbruchstücke, beharrlich kreisend um das verlorene Glück, noch beharrlicher um die zwanghaft betriebene Eigenart dieser Zweisamkeit, alles und jedes zu messen, zu zählen, als seien die Maße der letzte Punkt der Bindung an die Wirklichkeit. (...)
Dass man in dieses Geflecht einer vergewisserten Erinnerung eindringt, ist ein kleines Theaterwunder, das Katharina Hofmann zuwege bringt: Sie modelliert den Text wie beiläufig, gibt den Wiederholungen einen inneren Rhythmus, entwickelt über knapp anderthalb Stunden eine zwingende innere Dramaturgie des Ablaufs. Vor allem aber zeigt sie eine menschliche Figur, die ganz ohne Selbstmitleid von den Versuchen der Selbstbehauptung erzählt und die Trauer über das Verlorene spüren lässt. (...)
Zugleich zeigt sich der Sinn der Prozession durchs Theater, die der Regisseur dem Publikum verordnet: Auf diese Weise wird dem Text ein gliederndes Gerüst eingezogen. „MEZ“ entwickelt in dieser Darstellung mehr an Struktur und theatralischer Wirkung, als das Stück selbst besitzt. Wenn das Publikum auf dem Dach sitzt und Katharina Hofmann über den Kies turnt, wenn „La Mer“ erklingt und die Glaskuppeln grün zu leuchten beginnen - dann überhöht Jan Langenheims Inszenierung die banalsten Details einer verlorenen Liebe mit einer magischen, sehnsuchtsvollen Stimmung. (...)
12.09.2000